Wird der luftfahrtgetriebene Tourismus seinem Versprechen gerecht, Wohlstand sowohl für die Menschen als auch den Planeten zu schaffen? Wie wurden Luftfahrt und Tourismus voneinander abhängig? Welche Chancen ergeben sich für die Tourismusbranche durch eine drastische Reduzierung des Flugverkehrs?
Am 28. Februar 2023 diskutierten wir diese Fragen in einem Webinar mit dem Titel „Neugestaltung des Tourismus in einer Zukunft mit weniger Flugverkehr“, das von Daniela Subtil (Netzwerkkoordinatorin bei Stay Grounded) und Neus Crous-Costa (Tourismuswissenschaftlerin) moderiert wurde, beide von der Tourismus-Arbeitsgruppe bei Stay Grounded.
In diesem Webinar wollten wir Praktizierende und Forschende aus dem Mittelmeerraum (Spanien) und der Karibik (Dominikanische Republik) zusammenbringen. Die Mittelmeerküste wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Erholungsziel für Sonnen- und Strandtourismus. Als die Vergnügungsperipherie expandierte, wurden die mit dem Tourismus verbundenen politischen und industriellen Strukturen später in den karibischen Raum verlagert. Es ist kein Zufall, dass die meisten Investitionen in diesem Bereich exogen sind. Zudem befinden sich die meisten Reiseziele in der Karibik auf Inseln, was eine zusätzliche Herausforderung für die internationale Mobilität darstellt. Unsere Gäste waren:
Giselle Cedeño
Absolventin der Tourismus- und Hotelbetriebswirtschaft der Autonomen Universität Santo Domingo, Dominikanische Republik (UASD), mit Spezialisierung auf Nachhaltigkeit und Qualitätsmanagement in Tourismusunternehmen, und Mitglied sowie Mitarbeiterin bei Alba Sud. Sie schreibt über Tourismus/Tourismen, Ungleichheit und Alternativen aus dominikanischer Sicht.
Carlos Buj
Gestalter und Moderator von Workshops und Kursen zur ökosozialen Transformation. Er hat die öffentliche Politik zur Förderung des internationalen Tourismus in Spanien untersucht und die Genossenschaft „Viaje a la Sostenibilidad“ gegründet.
Ernest Cañada
Tourismusforscher aus kritischer Perspektive, Postdoktorand an der Universität der Balearischen Inseln (UIB) und Gründungsmitglied von Alba Sud. Seit 2016 ist er Expertenmitglied im Tourismus- und Stadtausschuss des Stadtrats von Barcelona. Sein Fokus liegt unter anderem auf postkapitalistischen, emanzipatorischen Alternativen im Tourismus.
Tourismus und Luftfahrt
Der moderne Tourismus ist ohne die intensive Nutzung kommerzieller Luftfahrt kaum vorstellbar. Es ist auch schwer festzustellen, ob die Vergnügungsperipherie aufgrund der Verfügbarkeit erschwinglicher kommerzieller Luftfahrt expandieren konnte, oder ob die kommerzielle Luftfahrt expandieren konnte, weil die Mittelschicht bezahlte Urlaubszeit genoss. So oder so ist die Tourismusbranche seit den 1960er Jahren stets Hand in Hand mit dem Luftverkehr gewachsen. Dies wird durch die Tatsache belegt, dass der Anteil der internationalen Tourist*innen, die mit dem Flugzeug reisen, von 46 % im Jahr 2000 auf 59 % im Jahr 2019 gestiegen ist (UNWTO, 2021).
Heutzutage sind Freizeit- und Geschäftsreisen jedoch nicht nur Formen des Vergnügens. Vielmehr sind sie auch zu hoch anerkannten Formen des symbolischen Kapitals sowie der Schaffung interkulturellen Dialogs geworden.
Trotz des wachsenden Drucks, den Beitrag des Luftverkehrs zur globalen Erwärmung anzugehen, sind die Luftfahrt- und Tourismusbranche allerdings darauf bedacht, weiter zu expandieren und ihre Interdependenzen zu verstärken. Beide Branchen weigern sich anzuerkennen, dass die Reduzierung von Treibhausgasemissionen der Luftfahrt eine Reduzierung des Luftverkehrs an sich erfordert. Stattdessen verwenden sie Narrative wie „Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohlstand“, „Entwicklung“ und „Umweltschutz“, um den Anspruch zu erheben, dass die Vorteile ihres Geschäftsmodells den Schaden rechtfertigen würden, den es verursacht.
Vom Mittelmeer bis zur Karibik
Die Dominikanische Republik empfängt jährlich etwa 10 Millionen Tourist*innen. Derzeit führt die Regierung in Kooperation mit der Industrie Maßnahmen durch, die darauf abzielen, diese Zahl noch weiter zu erhöhen, indem die Dominikanische Republik als Reiseziel in Quellmärkten wie Kanada oder den Vereinigten Staaten beworben wird.
Dies wiederum erfordert eine Steigerung des Flugverkehrs und geht einher mit dem Ausbau der Infrastruktur sowie der Eröffnung neuer Destinationen wie Miches, Pedernales und Puerto Plata. Die öffentlichen Investitionen für diese Entwicklungen betragen bis zu 18 Millionen US-Dollar.
Ein ähnliches Ungleichgewicht findet sich in Spanien. Historisch gesehen hat die Franco-Diktatur die Entwicklung des Sonnen- und Strandtourismus stark gefördert, der große Mengen an Ausländer*innen (und deren Geld) ins Land brachte. Heute bedeutet dies, in einem Land mit etwas mehr als 40 Millionen Einwohner*innen jährlich etwa 85 Millionen Tourist*innen zu empfangen. Küstengebiete und Inseln sind hierbei am stärksten unter Druck. Nichtsdestotrotz gehören öffentlichen Investitionen in das Tourismusmarketing in Spanien zu den höchsten der Welt. Dies schafft eine wahrgenommene Attraktivität, die neben der geografischen Lage des Landes am Rande Europas einen Bedarf an steigenden Flugzahlen erzeugt.
Diese Muster in der Tourismuspolitik und im Tourismusmanagement haben sich nicht geändert, da der Tourismus den Gastgesellschaften noch immer als wesentliche Wachstumsquelle präsentiert wird. Gesellschaftlich jedoch wird der Tourismus nicht mehr als frei von negativen externen Effekten wahrgenommen. Daher ist es entscheidend, neue Narrative zu schaffen und kritische Stimmen erheben, die genügend politische Treibkraft erzeugen können, um die öffentliche Entscheidungsfindung zu beeinflussen, wie dies bereits in Gegenden wie Barcelona geschieht.
Auswirkungen auf lokale Communities
Massenentwicklungen mit ausländischen Investitionen werden nicht nur von der Tourismusbranche, sondern auch von der Immobilienbranche gefördert. Schon vor Airbnb umfassten Skigebiete oder Golfclubs den Bau großer Wohnsiedlungen um sie herum, die das eigentliche Geschäft verbergen. Dies kommt jedoch den lokalen Communities nicht zugute. Im spanischen Aragón beispielsweise werden noch immer trotz sozialer Proteste EU-Next-Generation-Fonds für den Ausbau von Skigebieten vergeben.
Eine ähnliche Situation findet sich in der Dominikanischen Republik. Während Wissenschaftler*innen und sogar die Presse Beweise für Müll und Umweltverschmutzung (aufgrund von Misswirtschaft des Mülls in Hotels) auch an den Touristenstränden zeigen, bestreitet die Regierung diese Tatsachen, wobei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für Fotos posieren, während sie an diesen Stränden baden. Ein Beispiel dafür ist Playa de Bocachica.
Zusammengefasst sehen wir, dass das intensive Entwicklungsmodell der 1960er und 1970er Jahre in Spanien noch immer weitgehend ohne Kritik seitens der öffentlichen Verwaltung durchgesetzt wird. Somit fungiert der Tourismus als starker Mechanismus der Kapitalreproduktion, der zu Enteignung und Gewalt führt. Lokale, indigene Bevölkerungsgruppen verlieren ihre Souveränität über Land und über ihre eigene Existenz sowohl in ländlichen als auch in städtischen Umgebungen.
Am Wachstum festhalten
Die Tourismusbranche versucht nun, die Einnahmen, die während der Coronapandemie nicht generiert wurden, irgendwie „nachzuholen“. Dies führte zu einem Rückschritt in Bezug auf die öffentliche Regulierung des Tourismus. Klare Beispiele dafür sind der Ausbau von Flughäfen, verstärkte Anstrengungen im internationalen Marketing, Steuerprivilegien und eine Politik zugunsten des Luftverkehrs.
Parallel zu dieser landesweiten Politik versuchen die lokalen Behörden, die schlimmsten Auswirkungen des Massentourismus zu minimieren.
Die Tourismusbranche ist sich der legitimen Krise des Massentourismus und der Luftfahrt bewusst. Dies jedoch geht in Richtung einer Elitisierung des Tourismus, maskiert unter dem Begriff „Qualitätstourismus“. In der Realität hat der Tourismus der reichsten Gesellschaftsschicht aber tendenziell noch stärkere ökologische Auswirkungen und ist in der Hinsicht weniger achtsam als Reisen der Mittelschicht. Zudem werden wir mit einem weiteren Trugschluss konfrontiert, denn höhere Ausgaben bedeuten nicht mehr Nutzen für die Gastbevölkerung.
Tourismus neu denken
Doch ist nicht alle Hoffnung verloren. Der Tourismus ist als Branche auch eine soziale Praxis und somit Wandel unterworfen. Lokaler oder nationaler Tourismus hat in Bezug auf Mobilität in der Regel geringere ökologische Auswirkungen. Die Industrie muss zudem damit beginnen, das Wohlbefinden ihrer eigenen Arbeitnehmenden stärker zu berücksichtigen. Der Tourismus als Aktivität sollte nicht als Problem angesehen werden; die Frage ist vielmehr, wie er historisch geplant und verwaltet wurde.
Die Zahl der eintreffenden Tourist*innen muss reduziert werden. Allerdings sollten wir dies im Rahmen von Degrowth betrachten: Lebensqualität (sowohl von Gastgeber*innen als auch von Gäst*innen) kann und sollte nicht in Geld gemessen werden.
Ein neues Management, das sich auf das Wohlergehen der Menschen und des Planeten konzentriert, braucht neue Konzeptionen. Dies muss Politiker*innen, öffentliche Verwaltungen, zivilgesellschaftliche Gruppen und die Generierung neuer Narrative einbeziehen. Und hier müssen wir in nichtkapitalistische Formen gesellschaftlicher Organisation einsteigen.