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Reisen und Freizeit könnte utopisch sein – ein Einblick
Oktober 6, 2025
Der Zug im Nuria-Tal in Katalonien.

Die Tourismus- und Reiseindustrie gefährdet die Lebensweise lokaler Gemeinschaften und zerstört die Umwelt – und das nur, um einigen wenigen Profit zu bescheren. Doch Reisen und Freizeit könnten ganz anders aussehen, wenn wir diese Systeme mit Blick auf die Mehrheit der Menschen neu gestalten würden. Im Rahmen unserer Strategiekonferenz in Barcelona im Juli 2025 haben wir gemeinsam Visionen für einen sozial gerechteren und klimafreundlicheren Tourismus und Reisen entwickelt. Wir haben von vier Redner*innen über Projekte gehört, die bereits aktiv Elemente dieser Visionen umsetzen. Lies hier unseren Bericht.

Eine kurze Anmerkung: Die Visionsarbeit auf der Konferenz hat uns gezeigt, dass unsere Träume für eine zukünftige Welt viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Dennoch sind die unten aufgeführten Projekte nicht „perfekt“. Manches würden wir kritisieren. Sich jedoch anzuschauen, was gut funktioniert, kann uns dabei helfen, herauszufinden, wie wir unsere gemeinsamen Visionen umsetzen können.

Co’ox Maya

Die Co’ox-Maya-Initiative auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán lässt sich nicht einfach definieren, da sie eine Reihe von Zwecken verfolgt und jedes Mitglied und jede Gruppe innerhalb dieses Projekts ihre eigene Definition hat. Im Großen und Ganzen handelt es sich um ein Netzwerk oder eine Genossenschaft, die den gemeinschaftsbasierten Tourismus unterstützt. Dieses Modell zielt darauf ab, die Lebensbedingungen der lokalen Gemeinschaften zu verbessern, indem sichergestellt wird, dass sie die volle Verantwortung für die Planung, Durchführung und Verwaltung lokaler Tourismusprojekte tragen. Für Co’ox Maya ist gemeinschaftsbasierter Tourismus von großer Bedeutung: „Für die Mitglieder der Kooperative ist er eine Möglichkeit, ein zusätzliches Einkommen zu erzielen, ohne ihre täglichen Aktivitäten aufgeben zu müssen, und dabei die Kultur und die natürlichen Ressourcen ihrer Umgebung zu nutzen, zu bewahren und aufzuwerten.“ Sie sehen darin einen Ansatz zur Stärkung der lokalen Gemeinschaften.

Co’ox Maya wurde als Reaktion auf die Schwierigkeiten gegründet, mit denen Gruppen bei ihren gemeinschaftsbasierten Tourismusinitiativen konfrontiert waren. Seither verfolgt das Projekt vier Hauptziele:

  • Stärkung der Genossenschaften, um Stabilität zu gewährleisten.
  • Unterstützung der kommerziellen Seite der Initiativen.
  • Förderung des gemeinschaftsbasierten Tourismus, um das Bewusstsein für positive Tourismuspraktiken zu schärfen.
  • Die Bereitstellung von Governance zur Stärkung von lokalen Gemeinschaften und zur Beeinflussung der öffentlichen Politik.

Durch das gemeinsame Anpacken der materiellen Probleme, mit denen sie konfrontiert waren, hat sich das Netzwerk auch zu einer politischen Instanz entwickelt. Es schärft das Bewusstsein, setzt sich für Mitglieder*innen ein und fördert Austausch und Unterstützung.

Carla Izcara, eine Forscherin bei Alba Sud, die Co’ox Maya auf der Konferenz für uns vorgestellt hat, erklärt: „Co’ox Mayab ist ein gemeinschaftsbasiertes regionales Netzwerk, das nicht nur seit mehr als 10 Jahren gemeinsam daran arbeitet, die Lebensbedingungen und Chancen in den ländlichen Gebieten Yucatáns durch den Tourismus zu verbessern. Co’ox Mayab vertritt auch die politischen Interessen seiner Mitglieder*innen und es bietet Raum für Lernen und Hoffnung für diese Gemeinschaften, insbesondere für die jüngere Bevölkerung.“

Ein Großteil der Tourist*inneen, mit denen sie zu tun haben, reist in der Regel mit dem Flugzeug aus Übersee an. Das widerspricht einem Element unserer Utopie: einer Welt, die auf fairen und nachhaltigen Verkehrssystemen über Land beruht. Die Tatsache, dass einige Diskussionen über dieses Thema begonnen haben, zeugt von der Bereitschaft, strukturelle Probleme anzugehen.

Die Núria-Bahn

Das Vall de Núria in Katalonien, Spanien, ist ein beliebtes Touristenziel der Einheimischen. Es liegt in den Pyrenäen und ist nur mit der Núria-Bahn (oder zu Fuß oder mit dem Boot) erreichbar. Die Bahn wurde 1931 eröffnet. Zuvor war das Tal nur zu Fuß erreichbar. Die zunehmende Zahl der Pilger*innen, die das Heiligtum von Núria besuchten, und die wachsende Beliebtheit des Wintersports veranlassten die örtlichen Behörden jedoch, die Bahn zu bauen. Die Núria-Bahn ist bereits ein kohlenstoffarmes Verkehrsmittel und wird zudem mit Solarstrom betrieben, was sie noch nachhaltiger macht.

Seit Beginn der Industrialisierung leben immer mehr Menschen in Städten, was den Zugang zur Natur erschwert hat. Dies hat zu einem Anstieg des „Naturtourismus“ geführt, bei dem Menschen aus den wohlhabenderen Gesellschaftsschichten Erfahrungen und Freizeit in der Natur suchen. Dadurch gerieten die ländlichen Gebiete unter Druck, die auf diesen Zustrom von Menschen nicht vorbereitet waren. Als Reaktion darauf wurden oft neue Infrastrukturen gebaut, von denen viele dazu dienen, den Autoverkehr zu fördern. Aus diesem Grund ist die Núria-Bahn bemerkenswert. Durch die Sperrung für den Autoverkehr wird die Umweltverschmutzung reduziert und die Ruhe des Tals bewahrt. Außerdem wird der Zustrom der Menschen, die das Tal zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen, verlangsamt und gesteuert.

Ein weiteres wichtiges Element ist die Bedeutung des Zugnetzes für die lokale Bevölkerung. Das Vall de Núria ist ein beliebtes Reiseziel der Katalanen. Der Zug dient nicht nur den Tourist*innen aus anderen Teilen Kataloniens, sondern stellt auch eine lebenswichtige Infrastruktur für die in der Gegend lebende Bevölkerung bereit. Dies zeigt, wie beliebte lokale Tourismusziele aussehen können, wenn sie gut verwaltet werden. Die Strecke trägt dazu bei, ein Gleichgewicht zwischen der Bereitstellung von Verkehrsmitteln für die Anwohner und der Erleichterung für Tourist*inneen zu schaffen, ohne die lokale Umwelt massiv zu beeinträchtigen.

Der katalanische Rumbus

Der im April 2024 eingeführte Rumbus hat sich als wertvoller Service für Tourist*innen und Einheimische in der Vulkanzone Garrotxa erwiesen. Das Ziel des Busses war es, nicht nur Tourist*innen, sondern auch die lokale Bevölkerung zu befördern. Ländliche Gebiete leiden oft unter einem Mangel an zugänglichen öffentlichen Verkehrsmitteln und schlecht vernetzten Dienstleistungen. Bis Ende 2023 hatte der Bus mehr als 10.000 Fahrten durchgeführt und damit die Erwartungen übertroffen. Ein Viertel der Nutzer waren Einheimische.

Raúl Valls, der uns Rumbus auf der Konferenz vorstellte, sagte: „Die Hauptidee hinter Rumbus ist es, zur Erhaltung und zum ökologischen Gleichgewicht von geschützten Naturgebieten beizutragen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die Umweltauswirkungen der übermäßigen Nutzung durch private Autos vermeiden und eine demokratischere und zugänglichere Form des Transports für die gesamte Bevölkerung bereitstellen – sowohl für Einheimische als auch für Tourist*innen.“

Natürlich sind Busse nicht so nachhaltig wie Züge, und es gibt sicherlich Raum für Kritik an diesem Projekt. Betrachtet man es jedoch als Lösung für das Problem des Autoverkehrs, stellt es eine Verbesserung dar. Der Rumbus hat den Verkehr entlastet und der lokalen Bevölkerung einen wertvollen Dienst geleistet.

Arbeiter*innenversammlungen

Selbstbestimmte Arbeitnehmer*innen sind der Schlüssel zur Schaffung einer klimagerechten und sozial gerechten Gesellschaft. Safe Landing wurde als Gemeinschaft von Arbeitnehmer*innen im Flugverkehr gegründet, denen die Branche und der Planet am Herzen liegen. Im Rahmen ihrer Arbeit setzen sie sich für die Einrichtung von branchenweiten
Arbeitnehmer*innenversammlungen ein. Diese sollen das demokratische Engagement der Arbeitskräfte bei der Gestaltung der Zukunft des Flugverkehrs gewährleisten und sicherstellen, dass die Arbeitnehmer*innen selbst zum Übergang zu einem gerechten Verkehrssystem beitragen.

Vielleicht hast du schon von Bürger*innenversammlungen gehört. Arbeiter*innenversammlungen folgen dem gleichen Konzept. Bürger*innenversammlungen sind eine Form der deliberativen Demokratie, bei der sich Menschen an einer informierten, respektvollen und offenen Diskussion über ein bestimmtes Thema beteiligen können. Zunächst haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich mithilfe von Expert*innenvorträgen über das Thema zu informieren. Anschließend wird diskutiert, um sich eine eigene Meinung bilden, bevor die Versammlung zu einer Entscheidung kommt. In dieser letzten Phase ist Konsens wichtig, und durch individuelle Abstimmungen wird sichergestellt, dass die Stimmen von Minderheiten berücksichtigt werden. Die in der Versammlung gesammelten Empfehlungen können dann an Gewerkschaften oder politische Entscheidungsträger*innen weitergegeben werden.

Um Arbeiter*innenversammlungen branchenweit durchführen zu können, versucht Safe Landing, sie auch an der Basis populär zu machen. Durch Visionsversammlungen wird das Bewusstsein für den Versammlungsprozess geschärft und die Teilnehmenden können erste Erfahrungen damit sammeln. Für die jüngste Visionsversammlung haben sich über 80 Beschäftigte des Flugverkehrs beworben, von denen 26 ausgewählt wurden. Sie repräsentieren die in der Branche vertretenen Berufe, Geschlechter, ethnischen Zugehörigkeiten, Altersgruppen und Ansichten zum Thema Klima. Die Teilnehmenden wurden durch Gruppenübungen geführt, um über Machtdynamiken und ihre eigene Rolle bei der Schaffung von Veränderungen nachzudenken. Im letzten Teil entwarfen sie eine Vision für die Zukunft des Flugverkehrs und stellten sie der Gruppe zur Feedbackgebung vor. Die Endergebnisse wurden an Politiker*innen, Branchenführer und Gewerkschaften geschickt sowie auf Parteitagen und Veranstaltungen präsentiert.

SailCoop

Diese Genossenschaft hat das Ziel, den Flugverkehr sowie Motorboote und Fähren durch Segelrouten zu ersetzen. SailCoop betreibt zwei Routen: eine von Saint-Raphaël und Calvi in Frankreich nach Korsika und eine zweite von Concarneau in Frankreich nach Glénan. In Zusammenarbeit mit der Reederei NEOLINE bietet SailCoop zudem Transatlantiküberfahrten von Saint-Nazaire in Frankreich nach Baltimore in den USA an. Die Überfahrt von Frankreich in die USA dauert acht Stunden. Zudem wird eine 28-tägige Rundreise angeboten.

Da es sich bei SailCoop um eine Genossenschaft handelt, ist ihr Eigentumsmodell ein Beispiel dafür, wie gemeinschaftlich betriebener Verkehr aussehen könnte. SailCoop wurde vor zwölf Jahren als Genossenschaft gegründet und ist heute im Besitz von 3.000 Bürger*innen. Sie arbeiten nach dem Prinzip „eine Person, eine Stimme“, d. h., jeder, der einen Anteil an SailCoop erworben hat, hat ein Mitspracherecht bei wichtigen strategischen Fragen, kann an Arbeitsgruppen teilnehmen und ist an anderen Entscheidungen über die Organisation beteiligt. SailCoop finanziert sich zum Teil durch Spenden von Bürger*innen und hat auf diese Weise bereits fast 2 Millionen Euro eingenommen. In Großbritannien schafft Go-op in ähnlicher Weise ein Modell dafür, wie der Verkehr – in diesem Fall die Bahn – aussehen könnte, wenn er sich im Besitz von Arbeitnehmer*innen und Nutzer*innen befände.

Ihr Ziel ist es nicht nur, einen kohlenstoffarmen Transport anzubieten, sondern Menschen dabei zu unterstützen, ihre Beziehung zu Reisen, Zeit und Konsum neu zu definieren, indem sie das Reisen entschleunigen und genießen. Segeln ist eine gemeinschaftliche Aktivität, bei der die Teilnehmenden auf engem Raum zusammenleben, denselben Gemeinschaftsraum teilen und gemeinsam etwas erleben. Das Leben an Bord bedeutet, mit den vorhandenen Ressourcen zu leben und sie gemeinschaftlich zu nutzen – sei es Nahrung, Wasser oder die Energie, die zum Aufladen eines Telefons benötigt wird.

Eine mögliche Kritik an diesem Projekt könnte sein, dass nicht klar ist, wem es dient und ob es mit Blick auf die Mehrheit der Menschen entworfen wurde. Gleichzeitig liefert es eine nützliche Blaupause dafür, wie ein Element eines gerechten Verkehrssystems aussehen könnte.